Gemeinsam für die
Getreidebranche

„So bunt ist die Haferwelt jetzt!“

Erwartbar, wie bei so vielen Veranstaltungen in diesen Tagen, stand auch die 21. Getreidenährmittel-Tagung in Detmold unter dem Einfluss des Corona-Virus. Wie Prof. Dr. Norbert Haase vom Max Rubner-Institut den Anwesenden mitteilte, war vielen angemeldeten Tagungs-Teilnehmern von ihren Unternehmen und Institutionen ein Reisestopp verordnet worden. Auf etwa die Hälfte reduziert begaben sich die verbleibenden Experten dennoch in einen regen Austausch.

Schwerpunkt der Tagung war der Hafer, ein vor allem in Deutschland lange Zeit vernachlässigtes Getreide, was sich bis heute in seinen vergleichsweise geringen Anbaumengen wiederspiegelt. Doch spätestens seit dem Boom der Hafermilch stehen die Zeichen auf Veränderung.

Der erste Vortrag des ersten Tages, von Richeza Reisinger, mit dem Titel „Hafer: Die Alleskörner – 10 Jahre Kommunikation und Perspektiven für den Haferanbau in Deutschland“ klärte umfassend auf, über die widersprüchliche Situation dieses ernährungsphysiologisch wohl gesundesten Getreides, bei dem sogar so genannte „Health Claims“ zugelassen sind. Doch während die Verarbeitungs- und Absatzmengen auf fast das Doppelte gestiegen sind, ist der Haferanbau in Deutschland seit 2008 genauso verlässlich um 30% gesunken. Hierfür gibt es verschiedene Gründe, allen voran der Anbau von Energiepflanzen für die „Bio“-Gas-Erzeugung, wie z.B. Mais, der allerdings selten „bio“ ist, sondern einen hohen Einsatz von Düngern und Pestiziden erfordert. „Gesund für Boden und Mensch“ ist dagegen der Hafer, wie eine Kampagne von „Hafer: Die Alleskörner“ lautete, die Richeza Reisinger seit 2008 für den VGMS e.V. aufgebaut und betreut hat. Die Kampagne hat dabei, neben den klassischen Promotion-Kanälen, intensiv mit Bloggern und Influencern bei YouTube, Instagram und Facebook zusammengearbeitet, um das Image des Hafers zu modernisieren.

Steffen Beuch (NORDSAAT und „International Oat Committee“) referierte als nächstes über „Neue Züchtungstechnologie bei Hafer“. Er stellte die von der Allgemeinheit unterschätzte Bedeutung der Züchtung heraus: „30% der Einkommen der EU-Bauern hängen von der Züchtung ab.“ Im Vergleich dazu seien Düngung und Pestizide als Wachstumstreiber rückläufig. Doch nur 5% der Bevölkerung sehen die Forschung als wichtigen Bestandteil der Landwirtschaft. Als problematisch bewertete Beuch den Umgang mit dem Thema Gentechnik, vor allem wenn man bedenkt, dass als Ergebnis von Gerichtsprozessen immer häufiger festgestellt wird: „auch klassische Mutationsverfahren sind Gentechnik“. Also auch Methoden, die seit 100 Jahren in der Züchtung angewendet werden! Deshalb nennt Beuch als erste, von einer Reihe der Forderungen aus der Wissenschaft, die Novellierung des Gentechnikrechts.

Tobias Schuhmacher Hauptgeschäftsführer der AGF stellte als nächstes einen „Ringtest für das Hektoliter-Gewicht (hl-Gewicht) von Hafer“ vor, den die DIGeFa anbietet. Dieser Ringtest, wie auch die Aussagekraft von hl-Gewichten, als ausschließliches Kriterium für die Qualität des Hafers, nur „weil es so einfach ist“, wurde in der Folge kritisch diskutiert.

Die Themen „Reformulierung“ und „Reduktionsstrategie“ sind in den letzten Jahren zu Klassikern der AGF-Tagungen avanciert, und waren auch bei dieser Getreidenährmitteltagung nicht wegzudenken. Sandra Blackert (VGMS) und Karsten Schmitz (Oetker) erläuterten unter anderem die Grenzen der Reduktion in Bezug auf Cerealien, die Stärkung der „Ernährungskompetenz der Verbraucher“ und die Tatsache, dass für die verschiedenen Ampelmodelle bei der Lebensmittelkennzeichnung keine EU-weite Regelung in Sicht ist.

Nach der „Kommunikationspause“, mit anschließender Bürogymnastik-Einlage unter Anleitung einer Trainerin, hielt Prof. Dr. Jörg Hampshire von der Hochschule Fulda einen Vortrag über „Proteinauslobungen bei Cerealien“. Als „Proteinquelle“ dürfen Lebensmittel mit mindestens 12% des Gesamtbrennwerts benannt werden. Die Auslobung „Hoher Proteingehalt“ darf ab 20% des Gesamtbrennwerts erfolgen. Als Pointe des Protein-Hypes bei Cerealien darf gelten, dass ein Protein-Mangel bei Menschen in Deutschland so gut wie unbekannt ist und man teilweise sogar eher von einem Eiweiß-Überkonsum sprechen könnte. Lediglich bei Personen, mit einem Alter über 65 Lebensjahren und bei Veganern, kann ein leicht erhöhtes Vorkommen von Proteinmangel festgestellt werden.

Dietmar Sievert (Nestlé) referierte über die „Trends und Herausforderungen bei der Getreideproduktion für Kleinkinder“. Gerade in der Säuglingsphase hat Mangelernährung oft gravierende und irreversible Folgen. In einigen Regionen der Entwicklungsländer ist, abgesehen von der Gefahr des Hungertodes, z.B. Eisenmangel ein Problem. In einer Überflussgesellschaft spielen dagegen Themen wie „Authentizität“, optimale Ernährung, spezielle Ernährungsformen (z.B. bei Allergien), „Exploration“ und Nachhaltigkeit eine Rolle.

Claudia Titze (experTitze GmbH) berichtete von Ihren „Erfahrungen aus der Verpackungsprüfung“ und erläuterte die „Praktische Umsetzung der Nährwertdeklaration und anderen Besonderheiten bei der Kennzeichnung von Cerealien“. Hier ist eine genaue Beachtung der Vorschriften zu beachten, um Unannehmlichkeiten bei einer Verpackungsprüfung zu vermeiden. Im Idealfall gibt der Produzent eine solche Prüfung vor der Etikettierung eines Produktes selbst in Auftrag.

Am zweiten Tag begann Rolf Steinmüller (Neogen Ltd.) den Themenblock „Lebensmittelsicherheit“ mit einem Vortrag über den „OTA-Schnelltest und die Bemühungen von Neogen Ltd. einen Mycotoxin-Test auf Wasserextraktionsbasis zu realisieren. Hierzu wurden Streifentests entwickelt die nicht nur schnell und unkompliziert sind, sondern auch umweltfreundlich, da für die Extraktion der Mykotoxine keine umweltschädlichen Lösungsmittel mehr verwendet werden müssen. Das Analysegerät „RaptorTM“ bietet USB-Anschlüsse und kann bis zu 2000 Datensätze speichern.

Für den geplanten Vortrag „Verschiedene Mykotoxine im Hafer“ von Jens Meyer (Brüggen KG) musste sein Kollege Stefan Hoth (Kölln GmbH) einspringen, da die Brüggen KG „ein allgemeines Reiseverbot erlassen“ hatte. Mykotoxine sind ein vertracktes Problem beim Hafer. Unterschiedliche Richtwerte je nach Herkunftsregion und stark schwankende Messwerte machen die Situation unübersichtlich. Eine Senkung der Grenzwerte könnte die Haferproduktion in einigen Regionen zum Erliegen bringen.

Trotz Corona-Einflüsse in Berlin Mitte war Dr. Sieglinde Stähle (Lebensmittelverband Deutschland e. V.) angereist um über „Das Projekt Orientierungswerte für Mineralölkohlenwasserstoffe (MOH) in Lebensmitteln“ zu referieren. Wichtig war ihr erst einmal zu unterstreichen: Orientierungswerte sind keine Grenzwerte! Gleichzeitig konnte sie aber auch konstatieren, dass MOAH-Einträge, im Gegensatz zu MOSH-Einträgen, nicht zu tolerieren sind, da diese Einträge abgestellt werden können. Bei MOSH sollte hingegen alles getan werden, um Einträge zu minimieren. Allerdings gibt es für MOSH (bisher) keinen angestrebten Grenzwert.

Stefan Schmidt (R-Biopharm AG) gab in seinem Vortrag „Neue Glutenanalytik mit »Total Gluten R7041-ELISA«“ eine kurze Übersicht über die Entwicklungsgeschichte der Glutenanalytik mit dem erstaunlichen Fazit, dass sich die Genauigkeit der Analyse seit 1983 verhundertfacht hat!

Als letzter Referent der Tagung berichtete Thomas Krüger (Bühler AG) über „Hülsenfrüchte, die vergessene Proteinquelle“. Nun „vergessen“ ist diese Quelle wohl eher in Europa, während sie in anderen Teilen der Welt, vor allem in Asien, als Proteinquelle nach wie vor unersetzlich ist. Für umwelt- und gesundheitsbewusste Menschen in Europa sind Hülsenfrüchte bereits jetzt ein Trend-Food, ethisch und ökologisch im Anbau, die Bodenqualität verbessernd, gesund, ballaststoffreich und in den meisten Arten nicht Allergen. Global gesehen wurden zuletzt ca. 70 Mio. Tonnen geerntet. Tendenz: stark steigend.

 

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